Bohren und der Club of Gore-Dolores und der Schmerz auf Schallplatte

Fangen wir heute mal mit etwas anderem als der schlichten Beschreibung von Musik auf Vinyl an. Fangen wir mit einem Live-Auftritt der Band Bohren und der Club of Gore an und zwar in ihrer Heimatstadt Mülheim a.d. Ruhr. Diese Stadt hat zwei Theater-Spielstätten, wovon eine das Theater am Raffelberg ist und zu den idealistischsten und renommiertesten Ensembles gehört. Diese Gruppe, die seit Jahren von Roberto Ciulli geleitet wird, veranstaltet jährlich im Raffelberg-Park die weißen Nächte von Mülheim. Grundsätzlich wird das Theater von drinnen nach draußen verlagert, kostenfrei gemacht und mit einem Rahmenprogramm garniert. Dazu gibt es eine Bühne, die halb in das Wasser des Raffelberger Sees ragt, die nur aus Traversen besteht, weshalb ein Blick an dem Bühnentreiben vorbei auf den See und die Büsche und Bäume des Parks möglich ist. Die farbige Beleuchtung des Parks hebt die Stimmung dazu noch besonders hervor.

Und hier kommen wir auch schon zu Bohren und dem Club of Gore. Wer die Musik – gerne beschrieben als Gore-Jazz – noch nicht kennt, kann sich auch nicht ausmahlen, was in jemandem (also mir) vorgeht, der die Location und das Setting kennt und dann davon hört, dass diese Band genau dort spielt. Vielleicht könnt Ihr das ja im Nachhinein nachvollziehen, wenn Ihr die aktuelle Schallplatte von Bohren und der Club of Gore auf dem Plattenteller drehen seht und die entspannt bis lethargisch anmutenden fast-schon-nicht-mehr Rhythmen der Mülheimer hört. Denn allein durch diesen Eindruck kommt man in eine andere – viel langsamere Welt. Wem die Musik von Sigur Rós was sagt, dem würde ich Bohren so beschreiben, als hätten Sigur Rós eine ganze Familienpackung Downer geschluckt und würden damit eher Klangflächen als Musik erzeugen.

Aber das Ergebnis ist alles andere als schlecht! Im Gegenteil. Wenn sich eine Situation ergibt, in der diese Musik passt – z.B. beängstigend während Weltuntergangsstimmungen kurz nach oder während eines Unwetters oder hypnotisierend während eines Konzerts in dem oben beschriebenen Setting – schlägt sie ein wie eine Bombe – nur sehr, sehr langsam. Letztere Situation ist natürlich mit einer Schallplatte nicht zu erreichen, es sei denn man betriebe eine Menge Aufwand 😉 Aber gerade das Unwetterszenario eignet sich für die Mülheimer Gore-Jazzer und die heimische Stereoanlage.

Dass das passt, erklärt sich schon allein aus der Definition des „Gore“. Gore ist englisch und bedeutet als Subjekt Blut oder geronnenes Blut – als Verb „durchbohren“ oder schlicht „bohren“. Die Band heißt also in komplett deutscher Version „Bohren und der Club des Bohrens“ – oder „des Bluts“ natürlich. Diese unheimliche Bezeichnung rührt von einer Gattung des Horror- bzw. Splatterfilms her, bei dem nicht das Morden und blutrünstige Umbringen im Mittelpunkt steht, sondern eher das Ergebnis solcher Taten: Blut, geronnenes Blut in seiner ganzen Pracht.

Genauso spielen Bohren auf ihrer zuletzt erschienenen Schallplatte „Dolores“. Ganz langsam, wie das Blut aus einer frisch geschlagenen Wunde dickflüssig heraus quillt, über durchschnittlich sechs Minuten zu einem fließenden Bach zusammenläuft, um dann am Ende jeder Schallplatten-Seite zu gerinnen und zu erstarren…

Sehr pathetisch – zugegeben. „Dolores“ eignet sich ganz prima als Fahrstuhlmusik bei den Munsters oder als Untermalung eines Halloween-Diners – das Album ist aber auch Aspirin gegen einen gehetzten Tag. Zum „cool down“ ist nichts besser geeignet als diese entschleunigte Schallplatte. Wenn nicht maximal drei Tracks auf einer Schallplatten-Seite währen und man notgedrungen die Seite wechseln müsste, erstarrte man ebenso wie beschriebenes Blut.

Produziert ist das Album vorbildlich. Es ist nicht unbedingt audiophil – dazu stellt die Instrumentation auch nicht die beste, weil elektronische, Ausgangsbasis dar – aber durchaus klanglich „vollmundig“. Gerade das Saxophon tritt aus dem Off mit viel Hall auf die Bühne, während Schlagzeug, E-Piano und Bass sehr präsent direkt vor dem Hörer spielen. Ein gut eingestelltes Tonabnehmersystem ist für Bohren und der Club of Gore „Dolores“ aber schon notwendig. Ansonsten kommt es zu deutlichen Verzerrungen, die gerade bei dieser Musik sehr stark heraustreten. Lange Zeitspannen zwischen den Anschlägen der Noten und lange Zeitspannen, in denen sich die Klänge entwickeln können, decken jede Unsauberheit in der Abtastung auf.

Für Fans der langsamen Musik ist die Schallplatte eine Kaufempfehlung. Mike Patton war ebenfalls angetan und hat das Vorgängeralbum direkt auf seinem Label veröffentlicht.

cover_dolores

Zu beziehen ist die Schallplatte hier im Plattenladen.

Euer Schallplatten-Checker

Hier könnt Ihr den „Unkerich“ hören – meinen Favourite 😀