Jóhann Jóhannsson – Englabörn – „Holy Minimalism“ aus Island

Jóhann Jóhannsson Englabörn VinylKeine Neuveröffentlichung, keine Neuerscheinung. Dieser Artikel ist allein aus der Faszination über dieses Album entstanden, das ich im letzten Jahr in Reykjavik gekauft habe: „Englabörn“ von Jóhann Jóhannsson. Eigentlich heißt er nur Jóhann, weil die Menschen in Island ja nun nicht wirklich Nachnamen haben. Der Rest der Welt scheint aber auf einen Nachnamen nicht verzichten zu wollen. Und so veröffentlicht er seit 2002 unter diesem Namen.

Aus 2002 stammt auch das Album „Englabörn“  – quasi sein Erstlingswerk: Ein Soundtrack zu einem Theaterstück, das ebenfalls „Englabörn“ heißt und vom Schriftsteller Hávar Sigurjónsson stammt. Die Stücke des Albums sind klassisch in ein Hauptthema und mehrere Sub-Themen unterteilt, die sich allesamt in abgewandelten Formen und Reprisen immer wiedererkennen lassen. Hierbei sticht das Hauptthema „Odi et Amo“ besonders heraus – das, was knapp „Ich hasse und ich Liebe“ bedeutet, kommt auf der Schallplatte mehrfach vor – als Intro mit fast fröhlichen Streichern, gesungen von einer ordentlich verfremdeten Stimme in lateinischer Sprache. „Odi et Amo“ ist ruhig und beruhigend zugleich. Dieses Stück steht klar für die Liebe in diesem janusköpfigen Thema. Aber schon in Sálfræ∂ingur wird es bedrohlich – es wird düster und das Thema versteckt sich in den in den Hintergrund getretenen Violinen, die mit schnellen Auf- und Abstrichen eine hektische und leicht bedrohliche Atmosphäre aufkommen lassen. Zum „Odi“ kommt des dann aber ganz klar im Finale. „Odi et Amo“ – Bis ist eine stark verlangsamte Version von der Eröffnung. Wie sich ein zu langsam abgespieltes Tonband anhört, ist bestimmt bekannt. Dass sich sowas sehr gespenstisch anhören kann auch. Hier ist es genau so. Das Finale macht Angst – der Charakter des Urthemas hat sich gewandelt.

Der Stil Jóhannssons ist am besten mit der Richtung „Holy Minimalsim“ beschrieben, eine sakrale Entwicklungsrichtung der Minimal Music. Bekannte Vertreter im säkularen Bereich sind Philip Glass, Steve Reich und Terry Riley – im sakralen Bereich zählen dazu Komponisten wie Arvo Pärt und John Taverner. „Holy Minimalism“ und „Minimal Music“ haben den musikalischen Stil gemein – der „Holy Minimalism“ widmet seine Musik aber spirituellen Themen und schafft es mit dem minimalistischen Rahmen ganz beeindruckende und reduzierte Gefühle zu induzieren. Wie der Titel des Albums „Englabörn“ schon sagt, geht es hier um der Isländer liebstes Thema: Engel und andere transzendentale Wesen.

Jóhann versteht es genauso wie viele andere zeitgenössische Komponisten aus Island, mit einer Mischung aus traditioneller Komposition und Elementen des Post-Rock Musik mit emotionalem Subtext zu produzieren. Ähnlich macht es ja auch Ólafur Arnalds und in gewisser Weise auch Sigur Rós. „Englabörn“ ist gedacht als akustisches Komplementärwerk zum wohl ziemlich brutalen Theaterstück – es wirkt aber auch quasi „Stand-Alone“.

Die Produktion ist makellos und teils sehr dynamisch. Eine besondere Herausforderung für Laufwerk und Verstärkungskette ist der Track „Ba∂“, der mit Glockenspiel, gestrichenen Saiten eines Tasteninstruments und einer dezenten Trompete gespielt wird. Vor allem die subtile Unruhe durch eine Geräuschkulisse gegen Ende des Stücks bekommt man nur mit, wenn der Abtaster gut und das Laufwerk rumpelfrei läuft.

Das Album gibt es zurzeit noch als Wiederveröffentlichung aus 2009 bei Amazon.

Engalbörn – Jóhann Jóhannsson [Vinyl]

Englabörn – himmlischer Soundtrack aus Island

Englabörn ist die Initialzündung der Karriere Jóhann Jóhannssons gewesen und begeistert durch die gekonnte Mischung aus klassischer Komposition und Anleihen aus der Minimal Music. Wer isländische Musik und Ihre spirituelle Verklärtheit liebt, wird auch dieses Album lieben

Bewertet von Marcel: 4.5 Sterne deluxe
****1/2